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Ein interessanter und ein lehrreicher Abend für die Kyritzer, die ja selbst einige Erfahrungen mit der Bodenreform haben. „Der Weg ist eingeschlagen“, so Jorge Jurado, Botschafter der Republik Ecuador zur Bodenverteilung unter Rafael Correra.

„Zuerst ging es darum, dass die Menschen wieder zu essen haben.“ Diesen Satz eines von der Bodenreform betroffenen Ehepaares nahm der Moderator Matthias Krauß  zum Anlaß, dann den Botschafter der Republik Ecuador, Exzellenz Jorge Jurado, nach den Erfahrungen seines Landes zu befragen.

Dieser erwies sich als charmanter und kenntnisreicher Erzähler der Geschichte seines Landes und gingweit zurück in der Historie, ohne die man die heutigen Bedingungen nicht begreifen kann.

Vorschichte:
Nach der langen Kolonialzeit – Ecuador ist erst seit 150 Jahren unabhängig – wurden die Besitzverhältnisse im Land zunächst nicht angetastet – im Gegenteil, die großen Landbesitzer wurden gestärkt. Darunter die katholische Kirche -insbesondere die Jesuiten, ehemals größter Bodenbesitzer Ecuadors. Es gab zwar einige Versuche verschiedener Gouvernements, diese zu enteignen, doch waren sie nicht sehr erfolgreich. Und doch, zwischen 1690 und 1840 wurde die katholische Kirche zwei Mal enteignet und machte den Staat Ecuador seinerseits zum größten Landbesitzer.

Die 50er Jahre des 20. Jahrhundert waren von großen sozialen Unterschieden und Ungerechtigkeiten geprägt – einerseits große Haciendas, deren mittlere Größe 50 bis 150 Tausend Hektar umfassten in den Händen einiger Weniger – andereseits eine sehr arme Mehrheit, von denen die Ärmsten sehr, sehr wenig oder gar kein Land besaßen. Dieese Unterschiede spitzten sich in den darauf folgenden zehn Jahren noch einmal zu, so dass es in den 60ern einzelne Familien gab, die anderthalb Provinzen besaßen.

Parallel dazu entwickelte die erfolgreiche kubanische Revolution eine Strahlkraft, die ganz Lateinamerika erfasste – sie machte den Menschen Mut, dass es ein Leben in Würde gibt – und dass diese gekoppelt ist mit der Verfügung über Boden und Eigentum. Überall in Lateinamerika erstarkten daraufhin Reformbewegungen – nicht alle unbedingt sozialistisch, aber allen gemeinsam war das Bestreben, einen sozialen Wechsel herbeizuführen. Ecuador – zu dieser Zeit demokratische Republik – versuchte sich unter dem Einfluss Kubas und der damaligen Sowjetunion zu öffnen.

In dieser Zeit, 1962,  kam auch die USA auf den Plan. Mittels groß angelegter Weizenverteilungsaktionen, versuchten sie an Einfluss in Südamerika zu gewinnen.

1963 putschte das Militär den Präsidenten aus dem Amt.  In dieser Zeit fand paradoxerweise die 1. Bodenreform statt. Der Druck, Land an die Ärmsten zu geben, war zu groß. Doch das Ganze endete in einer Kathastrophe. Man stellte es nämlich den großen Landbesitzern anheim, zu entscheiden, welche Böden sie verteilten. Die Ärmsten der Armen – in der Mehrzahl aus der indigenen Bevölkerung –  erhielten nun karge Böden, die zudem bis zu 3.800 Metern über dem Meeresspiegel in den Anden lagen. Die frisch gebackenen Bauern und Besitzer der schlechten Böden hatten zudem kaum Gerätschaften, noch waren sie sonderlich geschult. Da es  im Gebirge keine funktionierende Infrastruktur gab, waren sie  gezwungen, sich Samen oder Wasser zu Fuß besorgen. Es reichte kaum zur Selbstversorgung und rüttelte nicht an den Strukturen. Die Kleinbauern waren weiterhin gezwungen, sich bei den großen Landbesitzern zu verdingen, zumal sich der Besitz durch immer weitere Teilung und Weitergabe an die Kinder sukzessive verringerte. Heute besitzen manche dieser Familien gerade einmal einen Ackestreifen, von dem sie sich natürlich nicht ernähren können.

Zehn Jahre später, 1973 organisierte unter Druck von Indigenaorganisationen eine Militärdiktatur erneut eine Bodenreform. Doch auch diese zweite erreichte keine gerechte Verteilung.

Heute:
Seit 2006, seit Rafael Correa zum Präsidenten der Republik gewählt ist, strebt das Land eine Agrarrevolution an. Es geht um einen Paradigmenwechsel bei der Landverteilung, dessen Basis eine gerechte Bodenreform – Plan Tierres – ist. Erklärtes Ziel der Regierung ist es, 1 Millionen Hektar zu verteilen. Verteilt wird im Wesentlichen

  • staatlicher Bodenbesitz, verwaltet durch das Agrarministerium
  • Gutshöfe, die bankrott gegangene Banken dem Staat als Garantien abtraten
  • beschlagnahmte Grundstücke von Drogenhändlern
  • Grund und Boden der Ecuardorianischen Zentralbank sowie
  • Böden, die seit mehr als fünf Jahren nicht bewirtschaftet wurden und brach liegen.

Das Land kann über einen sogenannten Produktivkredit zu einem günstigen Zinssatz erworben werden. In Kooperation mit Agrarberatern werden die Landbesitzer fünf Jahre lang geschult und betreut, so dass sie die Chance haben mit ihren Waren Teil der Produktionskette zu werden. Künftig wird der Erwerb an die Mitgliedschaft in einer Kooperative gebunden, die aufgrund ihrer Größe und ihrer Organisation in der Lage sind moderne Technik anzuschaffen und wirtschaftlicher zu produzieren. Die Regierung arbeitet außerdem daran, die Bodenverteilung rechtssicher zu gestalten, so dass auch künftige Generationen das Land bewirtschaften können.

Alles in allem ein großes gesellschaftliches Projekt, dass Würde und Gerechtigkeit herzustellen vermag, ist doch die Basis der Gestaltung die Verfügungsmacht über das Land.

Die nachfolgende Diskussion war von großer Sympathie für dieses Vorhaben getragen – bis hin zu den dringenden Ratschlägen, die Genossenschaften zu begleiten und die Bauern landwirtschaftlich auszubilden.

Der Botschafter erzählte seinerseits, dass ihn an den LPGen der früheren DDR vor allem der Technisierungsgrad interessiert habe – und die Tatsache, dass die Technik im eigenen Lande hergestellt wurde. Und er bekannte am Rande, von Zeit zu Zeit das Grab Friedrich des Zweiten zu besuchen und sich darüber zu freuen, dass die Menschen statt Blumen Kartoffeln ablegen würden. Habe der Import dieser Andenfrucht doch dafür gesorgt, die prekäre Ernnährungslage im damaligen Preußen zu stabilisieren und die Menschen vor Hunger bewahrt…